Mit Dr. Jacques Reijniers verlässt ein Urgestein der europäischen Interim Management Szene die European Business School EBS, an der er 14 Jahre lang das im deutschsprachigen Raum einzigartige universitäre Fortbildungsprogramm für Interim Manager entwickelte und begleitete. Nun übergibt er die Studienleitung an den bekannten Interim Manager Siegfried Lettmann. Ein Interview.
JA: Herr Dr. Reijniers, Sie sind nun 14 Jahre lang neben einigen anderen Lehrtätigkeiten auch Studienleiter des „Interim Executives Programme“ an der European Business School (EBS). Immer noch ist das im gesamten deutschsprachigen Raum der einzige Anbieter eines Zertifikatslehrganges für Interim Manager. Welche Rolle übernimmt die EBS für den Interim Management Markt?
Dr. Reijniers: Die EBS übernimmt in dieser Hinsicht vor allem drei Verantwortungsbereiche. In aller Kürze ist das zum Ersten die Weiterbildung der Interim Manager, dann die Erhöhung der Qualität dieser Dienstleistung und der dritte Bereich betrifft den Mehrwert der Dienstleistung Interim Management für die Auftragsunternehmen.
Unser erklärtes Hauptziel dabei ist die Vermittlung eines holistischen Ansatzes: Worum geht es beim Interim Management? Was sind seine Schlüsselelemente, seine Erfolgsfaktoren? Auch anderswo gibt es beispielsweise Workshops zu ähnlichen Fragen und Themenstellungen. Die sind mitunter durchaus interessant, verbleiben aber zumeist bei sehr engen Antworten. Die EBS bzw. der entsprechende Lehrgang an der EBS dagegen behandelt alle unterschiedlichen Stufen, über die sich die wirklichen Mandate entwickeln. Wir gehen ganz an den Anfang zurück, und behandeln etwa Akquisitionsthemen, und verfolgen den kompletten Bogen eines Einsatzes bis hin zum Abschluss des Mandates. Die Kenntnis um die Zusammenhänge ist von enormer Wichtigkeit. Alle Stufen des Interim Management Prozesses werden miteinander in Zusammenhang gebracht – und das mit einem Fokus auf die Endergebnisse, die Ziele, beim und für den Kunden. Ein Interim Management Einsatz soll letztlich dazu dienen, komplexe Unternehmensherausforderungen dauerhaft zu lösen.
Am Ende des Programmes höre ich von den Teilnehmern immer wieder: „Wenn ich früher gewusst hätte, welche Inhalte hier Thema sind, hätte ich diesen Lehrgang schon vor Jahren absolviert.“ Das ist für uns ein Kompliment und zeigt auch, dass wir etwas richtig machen. Auf dem vergangenen DDIM-Kongress in Düsseldorf waren um die 30 unserer Alumni vor Ort und erklärten, dass die EBS weiterhin erstklassig bliebe, was ich als Bestätigung dafür auffasse, dass wir unsere Vorsätze auch erreichen.
Wenn ich aber in die Zukunft blicke, sehe ich als größtes Ziel, die Professionalisierung des gesamten Fachgebietes weiter zu erhöhen. Interim Management existiert nicht im luftleeren Raum: Auch die Kunden müssen verstehen, worum es geht, und was mit diesem Instrument möglich wird. Und sie müssen verstehen, wie man Interim Management einkauft, also welche Erfolgskriterien mit der Person in Zusammenhang stehen.
JA: Wie ist es der EBS gelungen, einen transparenten Qualitätsmaßstab zu setzen?
Dr. Reijniers: Ob uns das tatsächlich gelungen ist, kann ich persönlich natürlich schwer sagen. Der Metzger kann sein eigenes Fleisch nicht beurteilen, das machen die Kunden – ihnen muss das Angebot munden, nicht dem Anbieter. Wie schon gesagt, versuchen wir, den gesamten Prozess, den ein Mandat durchläuft, in seiner Tiefe zu beschreiben. Das ist der Qualitätsgrundsatz der EBS. Wir spüren der Essenz, dem Wesen des Fachgebietes nach.
Zur Erklärung: Das Interim Management ist weiterhin eine freie Berufsbezeichnung. Jeder, der sich dazu berufen fühlt, darf sich selbst Interim Manager nennen. Das führt beispielsweise dazu, dass viele ehemalige Geschäftsführer sich so bezeichnen.
Ein kleiner Exkurs zur Verdeutlichung: Ich wurde vor einer Weile von einer deutschen Beratungsfirma eingeladen, einen Workshop abzuhalten. Der Hintergrund der Sache war jener, dass im Vorhinein zahlreiche ehemalige Vorstandsmitglieder, Direktoren und so weiter bei diesem Beratungsunternehmen vorstellig wurden und dort erklärten, sie wären nach dem Ausstieg aus der Festanstellung sozusagen von gestern auf heute Interim Manager geworden. Ich wurde hinzugezogen, um unter diesen Personen ein besseres Verständnis für das Fachgebiet zu schaffen. Ich erkannte aber sehr bald, dass vielleicht drei Viertel der Versammelten trotz ihrer vormals hohen Unternehmenspositionen nicht die nötigen Fertigkeiten dafür mitbrachten, gute Manager auf Zeit zu sein. Interim Management ist etwas gänzlich anderes als eine Festanstellung und verlangt andere Zugänge und andere Kompetenzen. Das habe ich inzwischen schon in mehreren Ländern beobachtet. Diese Personen sind auf ihrem Gebiet Experten – als Interim Manager müssen sie aber auch wissen, wie sie sich gut verkaufen können, sich schnell präsentieren und letztlich auf einer ganz pragmatischen Ebene: Sie müssen auch bei den Kundenunternehmen rasch entscheiden, und umgehend zugkräftige Lösungen für verschiedenste Herausforderungen erarbeiten. Man muss ganz genau wissen, wer man ist, was das eigene Angebot ist und wie dieses eigene Angebot in Relation zu den Problemen in den Kundenunternehmen steht.
Viele dieser Personen haben die nötigen Qualifikationen, sehr viele aber eben auch nicht. Wir versuchen, an dieser Stelle einzubringen, was die Essenz eines guten Interim Managements ist. Wie aber bei meinem vorherigen Beispiel mit dem Metzger: Es ist nicht wichtig, was wir sagen, sondern das, was die Beteiligten der Branche sagen. Nehmen wir etwa die nationalen Dachverbände. Im deutschsprachigen Raum gibt es die DDIM (Dachgesellschaft Deutsches Interim Management), den DÖIM (Dachorganisation Österreichisches Interim Management) und den DSIM (Dachverband Schweizer Interim Manager). Wenn diese Dachverbände sagen würden, dass das Interim Executives Programme der EBS der Standard sei, dann könnte man sich danach richten – und davon ausgehen, dass die Grundsätze bei allen Anbietern stimmen, die diesen Lehrgang absolviert haben. Das wäre für potenzielle Kunden ein sehr praktisches Hilfsmittel zur Beurteilung eines Interim Managers, der sich bei ihnen vorstellt. So könnte man schon im Vorfeld aufgrund der Qualifikation, also der Kompetenzen und Fähigkeiten des Kandidaten, eine Vertrauensbasis schaffen. Bis dorthin ist es aber noch ein weiter Weg.
Das Interim Management wird auch für Herausforderungen auf der Management-Ebene ein immer populäreres Lösungsinstrument. Der Bedarf ist unbestreitbar vorhanden, die Kunden müssen aber auch wissen, wie sie diesen Bedarf am besten decken können, und wie sie die richtigen Anbieter auf Zeit einkaufen. Vor allem in den letzten Jahren ist diese Fragestellung immer mehr ins Zentrum gerückt: Wie können wir die Kundenunternehmen dabei unterstützen, dass sie die optimalen Anbieter für ihre konkreten Situationen einkaufen?
Ich habe bereits angedeutet, dass Schnelligkeit bei dieser Dienstleistung eine bedeutende Rolle spielt. Ein Interim Manager muss produktiv sein, und zwar von Tag 1 an. Zu Beginn gehört dazu auch die durchaus schwierige Aufgabe, selbst zu analysieren, wie das Auftragsunternehmen sich entwickeln sollte – und wie dieses Element sich zur konkreten Nachfrage des Auftraggebers verhält.
Einen weiteren Schwerpunkt der letzten Jahre macht ganz klar die Veränderung aus. Sehr viele Mandate zielen entweder spezifisch auf Change ab, oder aber er spielt wenigstens eine Rolle für anders gefasste Aufgaben. Für Interim Manager bedeutet das, dass sie lernen müssen, mit allen organisatorischen Kräften in den Unternehmen umzugehen. Sie können sich vorstellen, dass das kein Leichtes ist. Hinzu kommt in allen Zusammenhängen, aber bei Change-Aufträgen ganz besonders, dass ein Manager auf Zeit Probleme nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig lösen muss. Interim Manager sind ja oft nur wenige Monate an Bord. Um nachhaltige, dauerhafte Veränderungen umzusetzen, ist es deshalb unabdingbar, etwa auch das Management des Kundenunternehmens mitzunehmen. Das ist eine sehr herausfordernde Aufgabe. Und – wie gesagt – für das alles haben die Manager auf Zeit nur einen kurzen Zeitraum zur Verfügung. Dass ich diese Themen hier stark zusammenfasse, soll nicht die tatsächlichen, mitunter sehr komplexen Begebenheiten verschleiern. Interim Manager zu sein, ist eine hochkomplexe und schwierige Aufgabe. Deshalb sollten Interim Manager auch stets für ihren eigentlichen Einsatzgrund auf dem Papier wesentlich besser qualifiziert sein, als es Festangestellte für dieselben Positionen sein müssten. Es gibt hier viele Unterschiede – aber gerade das macht den Fachbereich für jene, die sich diesen Herausforderungen stellen, auch so spannend.
JA: Wie Sie erklären, spielen Themen wie Wandel und Veränderung für viele Auftraggeber zurzeit eine wesentliche Rolle. Wie entwickelt sich der Zertifikatslehrgang „Interim Executives Programme (EBS)“ mit dem Markt mit? Wie schafft man es, den Lehrgang aktuell zu halten?
Dr. Reijniers: Das war von Anfang an eines der absoluten Hauptthemen an der EBS. Wir haben immer schon versucht, dem Markt möglichst genau zuzuhören, und stehen in engem Kontakt mit den Providern, natürlich den Anbietern selbst, den Kundenunternehmen, Dachverbänden usw. Wir beschäftigen auch stets und in jedem Modul wechselnde Fachreferenten, die oft direkt aus der Praxis stammen und auf ihren Gebieten mit aktuellsten Kenntnissen glänzen. Auch aktuelle Ergebnisse aus Forschung und Wissenschaft spielen dabei immer eine Rolle. Als Gradmesser dienen oft ausladende Diskussions-Projekte mit den verschiedensten Teilnehmern der Branche.
JA: Hat es auch organisatorische Anpassungen gegeben?
Dr. Reijniers: Ja, auch die allgemeine Struktur hat sich in Laufe der Jahre mehrmals sehr stark verändert, um der tatsächlichen Nachfrage zu entsprechen. Etwas, was mir im Laufe der Zeit gesondert auffällt, ist, dass Interim Manager durchschnittlich jünger werden. Auch das beeinflusst unser Angebot. Die jüngeren Interim Manager haben auf den Hochschulen und Universitäten viel mehr über den Change gelernt als die älteren. Ich sehe das als nächste Entwicklungsstufe unserer Profession.
JA: Sie ziehen sich demnächst als Studienleiter zurück und haben dabei Ihren Nachfolger selbst ausgewählt. Weshalb fiel die Wahl gerade auf Herrn Lettmann?
Dr. Reijniers: Grundsätzlich: Natürlich habe ich diese Wahl nicht allein getroffen, sondern in Übereinstimmung mit der Geschäftsführung der EBS. Es gibt aber eigentlich viele Gründe, die für Herrn Lettmann sprechen. Schon einmal die Tatsache, dass er ein ausgesprochener Fachmann ist und auf seinem Gebiet ein unangefochtener Experte. Wichtig war uns aber auch, dass Herr Lettmann eine wahre Begeisterung für sein Fach und die ganze Branche mitbringt. Wir haben jemanden gebraucht, der mitten im Fach steht. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass er selbst aus dem deutschsprachigen Raum kommt. Ich habe in Deutschland, Österreich und der Schweiz viele Beziehungen geknüpft, komme selbst aber aus den Niederlanden, was meiner Verfügbarkeit mitunter abträglich sein konnte. Wir wollten jemand haben, der auch geografisch im Fachbereich steht.
Dazu kommt noch, dass Herr Lettmann auf dem Markt sehr bekannt ist. Man bedenke, dass er nur innerhalb der letzten Zeit gleich drei hochkarätige Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten hat. Das schafft beileibe nicht jeder. Herr Lettmann hat einen sehr großen Mehrwert für seine Kunden.
Und eben, wie schon angedeutet, spielt seine Begeisterung nicht nur für das Fach selbst, sondern auch für dessen Weiterentwicklung eine bedeutende Rolle. Neben den nationalen Dachverbänden ist er auch der EBS schon seit Jahren verbunden und war abgesehen von seiner dortigen Lehrtätigkeit auch immer ein regelrechter Botschafter des Faches. Ich habe zuvor von strukturellen Neuerungen des Lehrganges gesprochen: Auch hier war Herr Lettmann bereits früher involviert und immer ein wertvolles Projektmitglied. Er ist die richtige Wahl, da gibt es keinen Zweifel. Er hat das Interim Executives Progamme an der EBS im Übrigen auch selbst absolviert.
JA: Was sind die größten Herausforderungen, denen er sich als neuer Studienleiter stellen muss?
Dr. Reijniers: Erlauben Sie, dass ich auch diese Frage in mehreren Unterpunkten beantworte. Und beachten Sie bitte: Das sind meine Gedanken und Wünsche, Herr Lettmann wird seine Entscheidungen natürlich selbst treffen müssen. Aber ich denke, dass es zuerst eine Rolle spielen wird, den Lehrgang noch bekannter zu machen. Dafür wird es nötig sein, auch den Mehrwert des Zertifikatslehrganges Interim Executives noch besser auf die Bühne zu bringen. Dafür müsste man das Programm in seiner Gesamtheit unterstützen, und dafür sorgen, dass die Qualifikation immer höher wird. Apropos Mehrwert: Natürlich wird es auch erfolgskritisch sein, den Mehrwert des Instruments, der Dienstleistung Interim Management für Kundenunternehmen und solche, die es werden könnten oder möchten, transparenter zu machen. Auch die Unternehmen müssen letztlich genau wissen, worauf sie Acht geben müssen, um vom vorhandenen Angebot bestmöglich profitieren zu können. Leider – und das muss man schon so sagen – ist unser Angebot, namentlich das Interim Executives Programme konkurrenzlos, was für die allgemeine Entwicklung und die sichtbare Verbreitung eines Qualitätsversprechens auch Nachteile hat. Man kann etwa „Unternehmenssanierung“ zum Beispiel an der Universität in Heidelberg oder an der Hochschule Kufstein belegen (an letzterer bin ich auch selbst tätig), aber der Fokus steht dort klar auf finanziellen und rechtlichen Themen. Ein umfassendes Programm, das alle Stufen des Prozesses durchleuchtet, sucht man abseits der EBS leider immer noch vergebens.
Mein Traum wäre es, dass zum Beispiel die DDIM irgendwann sagen würde: Wir nehmen als Mitglied nur mehr Personen auf, die diesen Lehrgang – oder einen gleichwertigen, so es ihn denn geben würde – absolviert haben. Das ist das höchste Ziel: Eine Norm, wie es sie auch für Anwälte, Ärzte, Wirtschaftsprüfer usw. gibt. In diesem Sinne gilt es, die Zusammenarbeit der verschiedenen Knotenpunkte der Branche zu intensivieren. Wenn alle sich einig werden könnten, würde am Ende ein Komplex stehen, von dem man sagen könnte: Das ist unser Qualitätsmaßstab. Aber das ist teilweise wohl auch nur eine Frage der Zeit. Ich habe bereits in vielen Ländern miterlebt, wie die Branche sozusagen gewisse Entwicklungsstufen durchlebt. Deutschland kann hier jedenfalls als Vorreiter betrachtet werden, aber auch dort hat es gedauert, bis man sich so weit emanzipiert hatte, dass man dahin kommen konnte, wo man heute ist. Diese Entwicklung ist in Wahrheit natürlich ein permanenter Fortschritt, aber es sind schon so etwas wie konkrete Entwicklungsstufen zu erkennen. Das beginnt zuerst mit der Einrichtung einer nationalen Dachgesellschaft. Eine solche gibt es beispielsweise in Deutschland schon länger, in Österreich noch nicht so lange. Des Weiteren, und das mag wie ein sehr subtiles Element wirken, hat aber große Auswirkungen, spielen hier die Vertragsgestaltungen zwischen den Interim Managern und den Unternehmen eine große Rolle. Diese Dienstleistung kann sich am besten entwickeln, wenn es die nötigen Rahmenbedingungen gibt. Auch hier hat Deutschland in den letzten Jahren große Schritte gemacht – und ich meine, das erkennt man auch an der Stärke der Branche. Ein nächster, bedeutender Ansatzpunkt ist die öffentliche Sichtbarkeit der Dienstleistung, die man etwa über Preise und Auszeichnungen erreichen kann. Jedes Fach muss einen Reifeprozess durchlaufen, und diese Prozesse laufen immer über bestimmte Stufen. Man könnte sie auch Reifegrade nennen. Als letzte Stufe kommen dann Themen wie die Positionierung der Dienstleistung im Lichte von Versicherungen, Steuern usw. Ein ganz wichtiges Element, dass hier zu entwickeln sein wird, ist ein klarer, transparenter und produktiver Qualitätsmaßstab im Markt für die weitere Professionalisierung im Interim Management Bereich. Zum Schluss wäre noch ein Traum, die Zusammenarbeit mit den nationalen Dachverbänden, also mit DDIM, DÖIM und DSIM, aber auch mit dem AIMP (Arbeitskreis der Interim Management Provider) zu intensivieren. Ich bin sicher, dass die Berufung Herrn Lettmanns einen wesentlichen Schritt in diese Richtung darstellt.
Das Interview führte Johann Auer, Redakteur der SLIM Management GmbH.