Warum Digitalisierung oft nicht profitabler macht
Die Zahlen sind ernüchternd: Das weltweite Produktivitätswachstum ist von 5-6% in den 70er-Jahren auf unter 1% im Jahr 2019 eingebrochen. Besonders paradox: Trotz massiver Digitalisierungsinvestitionen steigt die Produktivität nicht – im deutschen Maschinenbau ist sie sogar gesunken. Warum scheitern so viele Unternehmen an der digitalen Transformation?
Das Produktivitätsparadoxon der Digitalisierung
Ein aktueller Artikel im Industrieanzeiger von Peter Kuhle und mir bringt das Problem auf den Punkt: Unternehmen investieren Millionen in digitale Technologien, aber die erhofften Produktivitätssteigerungen bleiben aus. Das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und das Fraunhofer-Institut bestätigen diese Entwicklung speziell für den deutschen Maschinenbau.
Die Ursache liegt nicht in der Technologie selbst. OECD-Analysen zeigen deutliche Unterschiede zwischen Unternehmen: Während die einen durch Digitalisierung produktiver werden, verlieren andere weiter an Boden. Die entscheidende Frage lautet: Was machen erfolgreiche Unternehmen anders?
Der fatale Technikfokus: Warum interne Digitalisierung allein nicht reicht
Viele produzierende Unternehmen fallen in die “Technologiefalle”. Sie fokussieren sich ausschließlich auf technische Möglichkeiten und interne Prozessoptimierung. Dabei übersehen sie die entscheidende Frage: Was bringt die Digitalisierung dem Kunden konkret?
Drei kritische Denkfehler bei der Digitalisierung:
- Technik vor Nutzen: Investitionen werden getätigt, weil die Technologie verfügbar ist, nicht weil sie Kundenprobleme löst
- Interne Sicht dominiert: Prozessoptimierung steht im Vordergrund, Kundenmehrwert wird vernachlässigt
- Fehlende Monetarisierung: Unklar bleibt, wie sich digitale Investitionen in höhere Erträge umwandeln lassen
Diese Herangehensweise führt zu steigender interner Komplexität ohne entsprechende Erlössteigerung. Das Ergebnis: Digitalisierung wird zum Kostentreiber statt zum Gewinnhebel.
Was erfolgreiche Digitalisierer anders machen
Die OECD-Studie offenbart klare Erfolgsmuster. Unternehmen, die durch Digitalisierung deutlich produktiver wurden, haben einen entscheidenden Fokus: Sie stellen den Kunden konsequent in den Mittelpunkt ihrer digitalen Strategie.
Der wichtigste Produktivitätsfaktor: Effektives CRM
Erfolgreiche digitalisierte Unternehmen investieren vorrangig in Customer-Relationship-Management. Sie konzentrieren sich auf drei Kernbereiche:
- Vertrieb: Digitale Tools für bessere Kundenansprache und Verkaufsprozesse
- Marketing: Datengestützte Kundensegmentierung und zielgerichtete Kommunikation
- Service: Digitale Serviceleistungen, die echten Kundenmehrwert schaffen
Überraschender Befund: IT-Spezialisten als Bremse
Die OECD-Analyse zeigt einen kontraintuitiven Zusammenhang: Unternehmen, die sich zu stark auf IT-Spezialisten verlassen, verlieren tendenziell weiter an Boden. Die Erklärung: Ein reiner Technikfokus führt weg von besseren Wertangeboten.
Entscheidend ist nicht, was technisch machbar ist, sondern wofür Kunden zu zahlen bereit sind. Diese kundenzentrierte Sichtweise erfordert andere Kompetenzen als reine IT-Expertise.
Gewinnarchitektur: Der systematische Weg aus der Technologiefalle
Als Gewinnarchitekt erlebe ich täglich, wie Unternehmen in der Technologiefalle gefangen sind. Der Ausweg erfordert eine fundamentale Neuausrichtung der Digitalisierungsstrategie.
1. Wertangebot vor Technologie
Startpunkt jeder Digitalisierung muss das Kundenwertversprechen sein. Bevor Sie in neue Technologien investieren, klären Sie:
- Welche konkreten Kundenprobleme lösen wir?
- Wie verbessert unsere digitale Lösung das Kundenerlebnis messbar?
- Welche Zahlungsbereitschaft generiert der zusätzliche Nutzen?
2. Verkaufsprozesse digital optimieren
Digitalisierung im Vertrieb bringt direkte Umsatzeffekte. Erfolgreiche Ansätze umfassen:
- Digitale Angebotsprozesse: Schnellere, präzisere Angebotserstellung mit konfigurierbaren Produkten
- Datengestütztes Pricing: KI-unterstützte Preisoptimierung basierend auf Marktdaten und Kundensegmenten
- Lead-Management: Automatisierte Leadqualifizierung und -verfolgung für höhere Abschlussraten
3. Service als Gewinnhebel nutzen
Digitale Services bieten enorme Ertragspotenziale. Sie ermöglichen:
- Recurring Revenue: Wiederkehrende Umsätze durch digitale Serviceverträge
- Premium-Pricing: Höhere Margen durch wertschöpfende Zusatzleistungen
- Kundenbindung: Langfristige Beziehungen durch kontinuierlichen Mehrwert
Praxisbeispiel: Vom Produktverkäufer zum Lösungsanbieter
Ein Maschinenbauunternehmen aus meiner Praxis hat seine Digitalisierungsstrategie erfolgreich neu ausgerichtet. Statt nur in Produktionsautomatisierung zu investieren, entwickelten sie digitale Kundenservices.
Die Transformation in Zahlen:
- 25% höhere Margen durch Service-as-a-Service-Modelle
- 40% weniger Reklamationen durch präventive Wartungsservices
- 15% Umsatzsteigerung bei gleichzeitig verbesserter Kundenzufriedenheit
Der Erfolgsfaktor: Sie digitalisierten nicht ihre Maschinen, sondern ihre Kundenbeziehungen.
Fünf Erfolgsprinzipien für profitable Digitalisierung
1. Kundenfokus als Digitalisierungskompass
Jede digitale Initiative muss die zentrale Frage beantworten: Welchen messbaren Mehrwert schafft sie für unsere Kunden? Ohne klaren Kundenbezug wird Digitalisierung zum Selbstzweck.
2. Ganzheitliche Go-to-Market-Strategie
Vertrieb, Marketing und Service müssen als integriertes System gedacht werden. Einzelmaßnahmen ohne strategischen Gesamtrahmen verpuffen wirkungslos.
3. Erlösmodelle vor Technologie definieren
Entwickeln Sie zuerst neue Geschäftsmodelle, dann die passende Technologie. Nicht umgekehrt. Klären Sie die Monetarisierung bevor Sie investieren.
4. Führung und Change Management
Digitale Transformation erfordert neue Denkweisen. Das Management muss vorleben, dass Kundenwert wichtiger ist als technische Perfektion.
5. Messbare KPIs etablieren
Definieren Sie klare Erfolgskennzahlen für Ihre Digitalisierung. Umsatzsteigerung, Margenverzbesserung und Kundenzufriedenheit sind wichtiger als Effizienzgewinne.
Warum externe Expertise entscheidend ist
Die OECD-Studie bestätigt: Unternehmen, die sich zu stark auf interne IT-Expertise verlassen, hinken oft hinterher. Erfolgreiche Digitalisierung erfordert interdisziplinäre Kompetenzen: Technologie-Know-how, Vertriebsexpertise und Marktverständnis müssen zusammenwirken.
Als Executive Interim Manager bringe ich diese Kompetenzen zusammen. Ich übernehme zeitlich befristet die Führung von Digitalisierungsprojekten und sorge für:
- Strategische Neuausrichtung: Vom Technik- zum Kundenfokus
- Operative Umsetzung: Konkrete Maßnahmen mit messbaren Ergebnissen
- Wissenstransfer: Aufbau interner Kompetenzen für nachhaltigen Erfolg
Fazit: Digitalisierung als Gewinnhebel nutzen
Die Technologiefalle ist real – aber vermeidbar. Erfolgreiche Digitalisierung beginnt nicht mit der Technologie, sondern mit dem Kunden. Unternehmen, die ihre digitale Strategie konsequent auf Kundenwert ausrichten, erzielen nachweislich bessere Ergebnisse.
Der Schlüssel liegt in der systematischen Neuausrichtung: Weg von der internen Prozessoptimierung, hin zu digitalen Kundenlösungen mit klarem Erlösmodell. Diese Transformation erfordert oft externe Expertise und temporäre Führungsstärke.
Als Gewinnarchitekt unterstütze ich Unternehmen dabei, ihre Digitalisierungsinvestitionen in profitable Geschäftsmodelle zu verwandeln. Das Ziel: Digitalisierung wird vom Kostenfaktor zum Gewinnhebel.
Quellen und weiterführende Informationen
- Lettmann, Siegfried; Kuhle, Peter: “Raus aus der Technologiefalle”, Industrieanzeiger, verfügbar unter: https://industrieanzeiger.industrie.de/management/raus-aus-der-technologiefalle/
- OECD-Studien zur Digitalisierung und Produktivität
- Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
- Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI)
Über den Autor: Siegfried Lettmann ist Gewinnarchitekt und Executive Interim Manager für Vertrieb, Pricing und Marketing. Als zweifacher “Interim Manager des Jahres” unterstützt er Familienunternehmen bei der profitablen Transformation ihrer Go-to-Market-Strategien. Mit langjähriger Führungserfahrung bei Miele und Kärcher entwickelt er maßgeschneiderte Lösungen für nachhaltiges Wachstum.