Bei Digitalisierungsprojekten muss es um die Menschen gehen. Denn Digitalisierung bedeutet meistens auch Veränderung. Die wahren Umsetzungshürden von Digitalisierungsprojekten sind zumeist menschlicher Natur.
Digitalisierungsprojekte und der Mensch
Die Corona-Krise sorgt für ein historisches Allzeithoch bei Digitalisierungsprojekten. Nie waren die Ausgaben dafür höher – und auch die Akzeptanz auf Personalebene ist verglichen mit noch 2019 stark gestiegen. Eine aktuelle Studie von Bitkom zeigt diese Effekte ganz deutlich1Bitkom Research, im Auftrag von Tata Consultancy Services Deutschland (2020): Deutschland lernt KI – Wie Unternehmen digitale Technologien einsetzen. https://www.tcs.com/de-de/trendstudie-digitalisierung/studie-digitalisierung-2020. Was die Studie indes auch aufzeigt: In den meisten Unternehmen sind die IT-Abteilungen für Digitalisierungsprojekte verantwortlich. Und: Ebenfalls in den meisten Fällen ist die IT-Abteilung auch für das veränderungsbegleitende Change-Management zuständig.
Dass das Probleme aufwerfen kann, zeigt eine andere, aktuelle Untersuchung: Horváth und Partners beobachten in ihrer Change-Management-Studie2Horváth & Partners (2020): Studie 2020 – Change Management: Der Mensch im Mittelpunkt der digitalen Transformation. Erhältlich unter: https://www.horvath-partners.com/de/media-center/studien/studie-2020-change-management/, dass (aus Sicht der Beteiligten) die aktive Unterstützung durch Change-Management in den letzten Jahren sogar abgenommen hat; von 60 % der Projekte im Jahr 2014 auf aktuell 46 %. In mehr als jedem zweiten Unternehmen gibt es also kein effektives Change-Management. Anzunehmen ist, dass viele aktuell ausgearbeitete Digitalisierungsprojekte auf dem Papier hervorragend klingen – und mangels guter Change-Unterstützung dennoch ihre Ziele nicht oder nur teilweise erreichen werden. Denn das häufigste Problem ist bekanntermaßen die Umsetzung selbst. Und zurzeit sieht es ganz so aus, als ob das in Vergessenheit geriete …
Digitalisierungsprojekte sind (meistens) Veränderungsprojekte
Die Praxis bestätigt diese Sorgen. Vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung und ihre hohen Investitionen könnte hier ein Millionengrab entstehen. Denn Digitalisierung ist nicht nur eine technische Weiterentwicklung, und nicht nur ein IT-Thema! Digitalisierung zu sehr auf die Technik zu begrenzen, sorgt oft genug dafür, dass die eigentlichen Herausforderungen dann aus dem Blick geraten.
Digitalisierung verändert, und zwar ganz grundlegend, die Art und Weise wie wir arbeiten, wie wir auf Kunden zugehen, wie unsere Unternehmen Wert schaffen. Das verlangt eine Veränderung innerer Einstellungen, eine neue Kultur, die Einübung neuer Zugänge, Verhaltens- und Denkweisen. Digitalisierungsprojekte sind deshalb kein IT-Thema. Sie sind ein strategisches Unternehmensentwicklungs- und Veränderungs-Thema, an dem die IT mitwirkt. Das ist ein entscheidender Unterschied.
Wer diesen Unterschied nicht erkennt, wird es mit der Umsetzung der nun erzeugten Strategien in die operative Realität der Unternehmen sehr schwer haben. Man muss sich nur in den Unternehmen umsehen: An und für sich enorm wertvolle Software-Programme, die die Wertschöpfung enorm befördern könnten, werden häufig nur rudimentär eingesetzt und nie ausgereizt. Sobald ein Thema von einem Unternehmensbereich in den anderen weiterwandert, tun sich Medienbrüche auf. Vertriebsmitarbeiter notieren per Hand, weil CRM-Systeme und technische Strukturen nicht (ausreichend) angenommen werden. Abgesehen davon, dass hier viel Potenzial verschenkt wird, drücken Veränderungssituationen ohne Change-Management auch mehr als nötig auf die Zufriedenheit der heute so wichtigen Fachkräfte.
Digitalisierungsprojekte und überforderte Führungskräfte
Führungskräfte wie Mitarbeiter fühlen größeren Druck und mehr Stress als früher. Vor allem das mittlere Management wird häufig überfordert. Die Geschäftsführung gibt ein Digitalisierungsprojekt vor, die IT entwickelt eine passende Anwendung … und dann sollen die Führungskräfte neben dem Tagesgeschäft eine tiefgreifende, kulturelle Änderung schaffen. Und dabei noch möglichst alle Mitarbeiter mitnehmen. Am Rande: Fast kein Unternehmen betreibt Personalentwicklung in Sachen Change-Management. Das Ergebnis laut Horváth & Partners-Studie: Nur jede zwanzigste Führungskraft versteht ihre Rolle und die Verantwortung, die sie im Change-Prozess zu tragen hat.
Das kann man ihnen auch kaum übelnehmen. Die Linienführung der meisten Unternehmen ist dafür da, stabile Prozesse, stetigen Output und maximale Qualität im Routinegeschäft zu schaffen. Viele Unternehmen bemerken die Verwerfungen nicht, die sie kreieren, wenn sie denselben Personen als „normale“ Aufgabe nun auch die Verantwortung für eine Veränderung zuteilen. Aber Change braucht ganz andere Vorgehens- und Führungsweisen als die Leitung des stabilen Tagesgeschäfts.
Das Tagesgeschäft verlangt Stabilität, eingeübte Rollen und Verantwortlichkeiten. Die Erfahrungs- und Informationsdichte ist hoch, Probleme werden umfassend analysiert etc. In einer Change-Situation dagegen müssen Stabilität und ein sinnvoller Rahmen erst entstehen. Rollen und Verantwortlichkeiten können sich dynamisch verändern, es gibt wenige Erfahrungswerte und unzureichende Informationen. Probleme müssen rasch und oft behelfsmäßig angegangen werden. Manager, die bisher Stabilität und Sicherheit zum Ziel hatten, sollen plötzlich Flexibilität einbringen und mit Unsicherheiten umgehen. Mit denselben Mitteln und Führungsstrategien klappt das jedoch nicht. Ganz abgesehen davon, dass Veränderungen viele (Zeit-)Ressourcen brauchen, die neben dem Tagesgeschäft oft nicht zur Verfügung stehen. Frust und sinkender Leistungswille beim Führungspersonal ist vorprogrammiert – und geht direkt auf die Mitarbeiter über.
Interne Widerstände sind oft die entscheidenden Hürden
Die Folge: Widerstände – und die gibt es in Veränderungssituationen immer! – werden noch größer, und sollen durch Führungskräfte adressiert werden, die das niemals wirklich eingeübt haben. Noch triftiger wird dieser Komplex, wenn es zusätzlich um die Einführung agilerer Methoden geht, wie das im Zuge von Digitalisierungsprojekten oft der Fall ist. Diese verlangen nicht nur von der Belegschaft, sondern speziell auch von der Führungsriege selbst ein neues Rollenverständnis.
Die Führungskräfte werden mit diesen Herausforderungen zu oft alleingelassen. So überrascht es wenig, wenn sich in der Praxis zeigt, dass der Change sehr oft nicht an den Mitarbeitern, sondern an den Führungskräften selbst scheitert.
Die Ergebnisse einer Studie von Porsche Consulting3Porsche Consulting (2020): Change Management Kompass 2020. https://www.porsche-consulting.com/fileadmin/docs/04_Medien/Publikationen/267748_Change_Management/Change_Management_Kompass_2020_C_Porsche_Consulting-v3.pdf sprechen eine klare Sprache: In Deutschland erreicht nur jedes fünfte Transformationsvorhaben die gesteckten Ziele. In 77 % der Fälle scheitern die Vorhaben an fehlender oder zu später Kommunikation mit den Betroffenen. Für 73 % ist mangelhafte Führung der bedeutendste Grund, aus dem Transformationsvorhaben scheitern. Es scheitert also am Change-Management.
Effektives Change-Management ist deshalb unabdingbar, wenn Veränderungen anstehen, wenn neue Arbeits- und Organisationsweisen eingeführt werden sollen. Digitalisierungsprojekte betreffen nämlich häufig alle dieser Bereiche. In einer Zeit, in der Veränderung eine so große Rolle spielt, sollten Unternehmen folglich für diese Herausforderungen ein effektives Change-Management einbringen. „Der Mensch steht im Mittelpunkt“ – das wird häufig gesagt, aber selten wirklich gelebt.
Selbstprüfung und Personalentwicklung
Drastischen Veränderungen, und solche sind Digitalisierungsvorhaben oft, muss der berühmte Kulturwandel vorhergehen. Letztlich geht es nicht rein darum, ein neues Software-System einzuführen, sondern darum, dass die Belegschaft unter großem Kundenfokus die neuen Möglichkeiten gewinnbringend, effektiv und sinnvoll einsetzt. Gerade im aktuellen Umfeld ist es verständlich, dass auf Zwang digitalisiert wird. Dennoch sollte das mit Maß und Ziel geschehen, und stets hinterfragt angegangen werden. Kostspielige Digitalisierungsprojekte mit unnötig langer Laufzeit und begrenztem Erfolg werden die Situation der Unternehmen nicht verbessern.
Es wäre also wichtig, sich einer umfassenden und ehrlichen Selbstprüfung zu unterziehen, bevor man sich tatsächlich an diese bedeutenden Herausforderungen wagt. Wie reif ist das Unternehmen in kultureller und digitaler Hinsicht? Sind die Führungskräfte ausreichend vorbereitet? Sind die nötigen Methodenkenntnisse an Bord, um auch die Umsetzung selbst erfolgreich zu schaffen? Detaillierte Umsetzungspläne können aufzeigen, welche Kompetenzen nötig sein werden – und welche momentan noch fehlen. Man braucht deswegen schon im Vorhinein Klarheit darüber, was erreicht werden soll und wie man das operativ anstellen möchte, welches Budget zur Verfügung steht, zu erreichende Meilensteine etc.
Nötige Kompetenzen prüfen
Es sollte also bereits im Vorfeld geklärt werden, ob alle nötigen Kompetenzen an Bord sind – nicht nur technische und digitale Fachkompetenzen, sondern auch die Change-kritische Führungs- und Organisationsexpertise. Wie schaffen wir die noch fehlenden Kompetenzen? Ist Personalentwicklung die passende Herangehensweise? Wenn ja, wie schaffen wir eine gute, praxisnahe Entwicklung on-the-job? Wenn es schnell gehen muss, sollten jedenfalls externe Unterstützer hinzugezogen werden. Ihre Kosten spielen diese durch eine entscheidend bessere Umsetzung üblicherweise schnell wieder ein. Manche Interim Manager etwa können im Zuge der Change-Projekte auch die nötige Personalentwicklung gleich mit übernehmen – ein sinnvolles Vorgehen, für das ich erst kürzlich sogar eine Auszeichnung erhielt. Für den Einsatz eines Interim Managers finden Sie einen kleinen Ratgeber auf meiner Seite: Ratgeber Interim Management.
Wichtig ist es, all diese Überlegungen früh genug anzustellen. Projekte, die eine Weile im Sand verlaufen, haben es mit fortschreitender Zeit immer noch schwerer. Leuchtturmprojekte, die relativ einfach umgesetzt sind und rasche Erfolge zeitigen, sollten im Sinne von zu erreichenden Meilensteinen von Anfang an fix eingeplant werden, um Führungskräften und Belegschaft Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Auch eine gute und detaillierte Change-Roadmap samt Kommunikationsplänen etc. gehört bei jedem Digitalisierungsprojekt dazu.
Ein Digitalisierungsprojekt „einfach so“ anzustoßen ist sehr riskant, und kann dazu führen, dass sich die Lage im Unternehmen sogar verschlechtert. Auch wenn die Zeit knapp ist: Wer überhastet digitalisiert, schadet vielleicht mehr, als er hilft. Sollten Sie Unterstützung für eine solche Aufgabe suchen, kontaktieren Sie mich bitte jederzeit. Ich bin ein Change-erprobter und mehrfach ausgezeichneter Interim Manager mit Fokus auf Digitalisierung – und vielleicht genau der richtige Ansprechpartner für Sie.
Anmerkungen
↑1 | Bitkom Research, im Auftrag von Tata Consultancy Services Deutschland (2020): Deutschland lernt KI – Wie Unternehmen digitale Technologien einsetzen. https://www.tcs.com/de-de/trendstudie-digitalisierung/studie-digitalisierung-2020 |
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↑2 | Horváth & Partners (2020): Studie 2020 – Change Management: Der Mensch im Mittelpunkt der digitalen Transformation. Erhältlich unter: https://www.horvath-partners.com/de/media-center/studien/studie-2020-change-management/ |
↑3 | Porsche Consulting (2020): Change Management Kompass 2020. https://www.porsche-consulting.com/fileadmin/docs/04_Medien/Publikationen/267748_Change_Management/Change_Management_Kompass_2020_C_Porsche_Consulting-v3.pdf |